Artikel in HKM 1-2/2023:

Die Karstlandschaft südwestlich der Herrenalm (Teilgruppe 1815)

von Reinhard Fischer

Einleitung: Im Zuge einer Befahrung der Karrenhöhle (1815/285) am wurde vom Verfasser auch das Gebiet um den "Toten Mann" südwestlich der Herrenalm begangen. Hier befindet man sich in einem oft sumpfigen Almbereich, der vielfach von Dolinen und Ponoren gekennzeichnet ist. Kaum eine dieser Karstformen ist tiefer als 5 m und die kurzen oberirdischen Gerinne versickern bereits nach kurzem Lauf, um - so die Annahme - als starke Quellen westlich bis südlich der Herrenalmhütte (Abb. 1) wieder zu Tage zu treten und als Herrenalmbach durch die Tagles zur Ois hin zu entwässern. In dem Dachsteinkalkstock des Dürrensteins verwundert dies zunächst, erklärt sich aber aus den besonderen geologischen Verhältnissen im Bereich Obersee-Herrenalm-Gindelstein auf die hier etwas näher eingegangen werden soll. Nebenbei wurde auch ein kleines Objekt in den Höhlenkataster aufgenommen (Abb. 2), der

Toter-Mann-Ponor (1815/438 a, b).

Basisdaten: L 9 m, H -4 m, He 15 m, Sh 1447 m, ÖK4204 bzw. ÖK72.

Lage: Im Bereich "Toter Mann", 725 m südwestlich der Herrenalmhütte (1327 m) im östlichen Dürrensteingebiet.

Zustieg: Man folgt dem markierten Wanderweg von der Tagles zur Herrenalm und weiter Richtung Dürrensteingipfel. Etwa 700 m SW der Herrenalm verlässt man den Weg in einer Seehöhe von 1420 m und hält sich in südsüdöstliche Richtung über Almböden und vorbei an kleinen Fichtengruppen sanft aufwärts, bis man schließlich zu einer markanten Doline gelangt, dem Eingang b.

Beschreibung: Es handelt sich um einen aktiven Ponor mit einem schachtartigen Einstieg a, welcher durch eine kurze Kriechstrecke mit einer wenige Meter NNO liegenden, rund 8 m durchmessenden, etwa 5 m tiefen Doline in Verbindung steht.
Zum aus südlicher Richtung durch einen kleinen Graben mit üppiger Vegetation kommenden, bescheidenen Gerinne kann durch den etwa 2 m breiten Einstieg a unschwer abgestiegen werden. Über kleine Felsstufen gelangt man gemeinsam mit dem Gerinne in einen abfallenden Kriechgang mit knapp 2 m Breite. Das Wasser rieselt hier über dünnplattig gestuftes Gestein bevor es im Bodenschutt verschwindet (herbstlich trockene Witterung). Nach 5 m erreicht man einen Sedimentwall und dahinter den Grund der Doline (Eingang b). Der Boden der Doline besteht aus erdigen Sedimenten und vereinzelten Blöcken. Spalten im NO könnten als Abfluss bei Hochwasserereignissen fungieren.

Erforschung und Vermessung: Der Ponor wurde sicherlich bereits früher als Karsterscheinung wahrgenommen, so jedenfalls von Walter Fischer, welcher die Höhle am auch befahren hatte. Eine Vermessung unterblieb seinerzeit jedoch. Diese wurde nun durch Reinhard Fischer am durchgeführt.

Geologie: Im Bereich der Herrenalm stellt die Oberseebrekzie (Abb. 3) eine geologische Besonderheit dar, die erstmals von Ruttner (1948) als "Brekzie von Dachsteinkalkbruchstücken, rotem Hornstein und Hierlatzkalk" beschrieben wurde, und auch Fink (1973) erwähnt "mergelige und brecciöse Schichtglieder". Tollmann (1976) erkannte weitere Komponenten jüngeren Alters, korrigierte daraufhin die Alterseinstufung und prägte erstmals den Begriff "Oberseebrekzie". Auf Basis einer genaueren Radiolarienbestimmung und -datierung konnten Lein et al. (2009) die Brekzienentwicklung schließlich ins Oberjura (Oxfordium, vor ca. 163-157 Millionen Jahren) stellen. Jüngste Untersuchungen von Moser (2016) präzisieren das Alter und die Schichtfolge und geben Hinweise zur Genese.
Die normale Schichtfolge im Bereich der Herrenalm besteht vom Liegenden zum Hangenden aus Dachsteinkalk (Obertrias; mit roten Jura-Spaltfüllungen), Hierlatzkalk (Crinoidenspatkalk, Unterjura), Klaus-Formation (knolliger Rotkalk, Mitteljura), Ruhpoldinger Radiolarit (kieselige feinschichtige Mergel, Mittel- bis Oberjura) und schließlich Tauglboden-Formation mit bankweiser Einschaltung von Oberseebrekzie (Wechsellagerung aus Brekzie und feinschichtigem Kieselkalk, Oberjura). Das Hangende ist hier nicht mehr vorhanden, an anderen Lokalitäten schließt die Oberalm-Formation an.
Wie kam nun die Brekzie mit Obertriaskomponenten auf Juraschichten zu liegen? Eine mögliche Erklärung wird von Moser (2016) formuliert. Im Zuge des Schließens der Neotethys kam es zu einer nordvergenten Überschiebung der Mürzalpen-Decke auf die Göller- bzw. Unterberg-Decke (im Dürrensteingebiet), wobei tiefere Bereiche der Decke, die auch Obertriasgesteine enthielten, nach oben "geschürft" wurden, welche dann Ausgangsmaterial für die Oberseebrekzie lieferten. Durch die Überschiebungstektonik entstanden untermeerische Schwellen und dahinter liegende, abgesenkte Tiefseebecken mit kieseligen Radiolaritsedimenten. In diese wurden später die Gesteine der Schwelle eingetragen und als Brekzie abgelagert und verfestigt.

Die vielfach oberirdische Entwässerung der Herrenalm und auch das Gerinne im Toter-Mann-Ponor sind auf die wasserstauenden, kieseligen Mergellagen der Beckensedimente des Mitteljura zurückzuführen. Die Einstiege des Toter-Mann-Ponors liegen aber augenscheinlich (zumindest an der Westseite) im Dachsteinkalk, also oberhalb der Juraschichten. Dies kann dadurch erklärt werden, dass die Oberseebrekzie nicht nur aus Komponenten im cm- und dm-Bereich besteht sondern auch riesige Dachsteinkalkblöcke eingetragen wurden, die heute als "Schollen" in der Oberseebrekzie eingebettet sind (vgl. Ruttner, 1949: 77 oder Ruttner, 1984: 216).
Bekannte Höhlen gibt es im Bereich der Herrenalm neben dem Toter-Mann-Ponor durch diese "Plombierung" des Dachsteinkalks durch auflagernde, wasserstauende Juraschichten nur wenige. Diese sind alle in der Oberseebrekzie oder im Grenzbereich zu ihr entwickelt: das Alplleitenloch (1815/284) und die Karrenhöhle (1815/285) im Süden sowie randlich im Norden der Herrenalm-Durchstieg (1815/428) und als bedeutendstes Objekt die Kegelstatthöhle (1815/413). Im NO-Abhang des Kl. Dürrensteins Richtung Herrenalm liegt das sogenannte "Wildgschöder", in dem von Morgenbesser (1988) etliche Kleinhöhlen beschrieben wurden, auch bemerkte er einen "andauernden Wechsel der Gesteinsfärbung (bald rot, bald grau) des Liaskalkes", was ebenfalls auf die Oberseebrekzie hindeuten könnte.

Im Detail ist die geologische Situation im Betrachtungsgebiet relativ komplex und die Entschlüsselung der Morphogenese der Karstphänomene dieses besonderen Karstgebietes bleibt spannend.

Literatur: